Der Bücherskorpion (Chelifer cancroides) – früher auch Milbenwolf genannt – gehört zur Klasse der Spinnentiere (Arachnida) und zur Ordnung der Pseudoskorpione. Er ist der am weitesten verbreitete Pseudoskorpion. Aktuell sind weltweit etwa 3000 Arten von Pseudoskorpionen bekannt, etwa 100 aus Mitteleuropa. In verschiedenen Regionen der Welt werden verschiedene Arten von Pseudoskorpionen in Bienenbeuten und Bienenstöcken angetroffen. Einige Ellingsenius Arten auf der Südhalbkugel haben sich regelrecht auf Honigbienen spezialisiert und werden ausschließlich in Bienenvölkern angetroffen.
Die Wirksamkeit in der Bekämpfung der Varroamilbe durch die Bücherskorpione ist nicht belegt. Einen Verkauf von Bücherskorpionen und die Behauptung sie würden die Varroa signifikant dezimieren ist falsch und der Sache nicht dienlich.
Es gibt auf der einen Seite eine Reihe von Indizien, die eine Wirksamkeit möglich erscheinen lassen. So gibt es beispielsweise Hinweise in alter Literatur, die ein gezieltes Abnehmen der Varroen von den Honigbienen durch den Bücherskorpion vermuten lassen. Auch zeigen Infrarot-Videoaufnahmen, dass sich die scheuen Tiere auch unter natürlichen Bedingungen gelegentlich den Bienen nähern und sie sogar abtasten. Die Bienen lassen sie gewähren (siehe Abb. 1 bis 3).
Auf der anderen Seite gibt es trotz jahrelanger Bemühungen keine stichhaltigen Belege für eine Wirksamkeit in der Varroabekämpfung. Auch der Videobeweis für ein gezieltes Abpflücken einer Varroa vom Bienenkörper konnte noch nicht erbracht werden.
Darüber hinaus gibt es Beobachtungen, die eine Wirksamkeit unwahrscheinlich machen: Offensichtlich bewegen Bücherskorpione sich nicht auf dem Wabenwerk der Bienen, ich persönlich habe sie in vielen Jahren der Beobachtung noch nie auf einer Wachswabe entdeckt. Bücherskorpione jagen vorzugsweise aus sicheren Verstecken heraus und entfernen sich in der Regel von diesen nur wenige Zentimeter. Dieses Verhalten wird durch eine Eigenschaft der Honigbienen im Bienenstock extrem eingeschränkt: Die Bienen schließen alle Ritzen und Spalten mit Mischungen aus Wachs und Propolis. Wenn die Bienenwohnung von den Bienen fertig „eingerichtet“ ist bleibt schlicht kein Platz mehr für dieses Jagdverhalten der Bücherskorpione. Lediglich der Boden der Bienenwohnung kann den Bücherskorpionen mit dem herabfallenden Gemüll auch dauerhaft Verstecke bieten. Dies ist auch der Ort, wo sie vorzugsweise angetroffen werden. Die hier erlegten Milben (teils bereits zuvor schwer verletzt) sind dem Vermehrungszyklus aber bereits entzogen, ihr Verzehr bringt bezüglich der Varroabekämpfung keinen zusätzlichen Nutzen.
Nichtsdestotrotz sind Bücherskorpione willkommene Gäste im Bienenstock und wirken als Nützling für Honigbienen und Imker: Sie ernähren sich von verschiedenen Parasiten der Bienen in Bienenwohnungen und räumen regelrecht auf. Im Kampf gegen Wachsmottenlarven und die Larven des kleinen Beutenkäfers ist ihr Wirken vermutlich auch wirksamer, da diese ihr Leben in Ritzen und Spalten am Rand des Bienenstockes beginnen.
Alte und neue Hinweise über das Vertilgen von Parasiten im Bienenstock der westlichen Honigbiene durch den Bücherskorpion
Ludwig Koch: „Übersichtliche Darstellung der europäischen Chernetiden (Pseudoscorpione)“, Nürnberg, 1873
Die erste Erwähnung des Bücherskorpions als Mitbewohner von Honigbienen findet sich in der Literatur 1873 in „Übersichtliche Darstellung der europäischen Chernetiden (Pseudoscorpione)“ von Ludwig Koch. Als Fundorte gibt er Häuser, Insektenkästen und hauptsächlich Bienenstöcke an.
Alois Alfonsus: „Der Feind der Bienenlaus„, Deutsche Illustrierte Bienenzeitung, 8. Jahrgang, S. 503-506, 1891 und „An Enemy of the Mites in the Bee-Hive„, Bee World 4 (1), S. 2–3, 1922
1891 schreibt Alois Alfonsus in einem kurzen Artikel von der Entdeckung dieser Insekten in Bienenbeuten und von ihrer Jagd auf Bienenläuse und andere kleine Insekten wie Milben und Staubläuse. 30 Jahre später schreibt er erneut über die Tiere, diesmal auf englisch in der Bienenzeitung „Bee World“. Er hält Bücherskorpione für ein geeignetes Mittel die damals stark verbreitete Tracheenmilbe zu bekämpfen.
Dr. Josef Fahringer: „Beobachtungen über einige Bewohner von Bienenstöcken„, Bienenvater 57, Seite 83-84, 1925
Das stärkste Indiz in der damaligen Zeit für das Ablesen von Milben vom Bienenkörper durch Bücherskorpione lieferte Dr. Josef Fahringer durch seinen Versuch 1925. Er besetzte den Körper von Honigbienen mit Milben, die er zuvor vom Körper von Hummeln entnommen hatte. Durch die Gabe einer Futterlösung für die Bienen stellte er diese ruhig. Nun lenkte er Bücherskorpione mit Licht zu den ruhenden Bienen. Bereits nach kurzer Zeit konnte er das Entmilben der Arbeiterinnen durch den Bücherskorpion beobachten.
Zoltán Örösi-Pál: „Afterskorpione (Chelonethi) in der Wohnung der Honigbiene„, Journal of applied entomology, Volume 25 S. 142-150, 1939
1939 gibt Zoltán Örösi-Pál einen umfassenden Überblick über den damaligen Wissensstand zum Thema Pseudoskorpione in Bienenwohnungen weltweit. Er schreibt, dass Pseudoskorpione meist auf den Deckbrettchen, dem Wachstuch, den Rähmchenleisten, den Wänden oder auf dem Kastenboden zu finden sind. Auf den Waben habe er sie noch nie gesehen. Diese Beobachtung kann ich bestätigen, auch ich habe noch nie Bücherskorpione über Waben laufen sehen. Ich finde sie in der Regel an den Oberträgern und auf dem Beutenboden.
Weiter schreibt er, dass noch kein Brutnest in Bienenstöcken gefunden wurde. In diesem Punkt sind wir heute weiter (Abb. 4). Durch geeignete Konstruktionen und das Anbieten von Versteckmöglichkeiten ist eine Ansiedlung möglich.
Abb. 4: Nestbau und Nest des Bücherskorpions
Örösi-Pál beschreibt 1939 die damalige allgemeine Auffassung dahingehend, dass der Bücherskorpion sogar auf den Bienen befindliche Milben und andere Kleinwesen frisst. Er stellte in eigenen Versuchen fest, dass der Bücherskorpion die Raupen der großen Wachsmotte aussaugt, sofern sie nicht größer als 1cm sind (siehe Abb. 5). Auch diese Aussage kann ich durch eigene Beobachtungen in Bienenbeuten und durch Versuche unter Laborbedingungen bestätigen. Ich konnte den Bücherskorpion auch beobachten, wie er deutlich größere Raupen angreift. Offensichtlich reicht die Wirkung seines Giftes aber nicht aus, um größere Beutetiere zu lähmen. Er lässt seine Opfer nach einer Weile wieder frei, wenn die erwünschte Lähmung nicht einsetzt, bzw. die Gegenwehr aufgrund der ausbleibenden Lähmung zu heftig ist (siehe Abb. 6).
Örösi-Pál schliesst seinen Bericht mit der Erkenntnis, dass noch nie eine schädliche Wirkung der Pseudoskorpione gegen die Honigbiene gesehen wurde. Ob Pseudoskorpione Milben und Bienenläusen unter natürlichen Verhältnissen von den Bienenkörpern ablesen, sei nicht bekannt. Wegen des Verzehrs von Milben, Wachsmottenlarven, abgefallenen Bienenläusen und anderen Kleinwesen des Bienenstockes seien Pseudoskorpione von Nutzen. Durch die beschränkte Anzahl von Pseudoskorpionen in Bienenwohnungen habe ihr Nutzen aber keine praktische Bedeutung.
Dr. Max Beier: „Der Bücherskorpion, ein willkommener Gast der Bienenvölker„, Österreichischer Imker, Jhg. 1, 1951, S. 209-211
Große Beachtung findet bis heute der Artikel von Dr. Max Beier aus dem Jahr 1951 „Der Bücherskorpion, ein willkommener Gast der Bienenvölker“. Er beschreibt ebenfalls seinen Nutzen durch das Vertilgen diverser Parasiten im Bienenstock. Ohne neue Quellen oder Belege zu nennen äußert er die Vermutung, dass der Bücherskorpion Parasiten von den Bienen direkt abliest. Vermutlich bezieht er sich hier auf die Versuche von Fahringer.
Aufschlussreich ist seine Beschreibung wie die Tiere sehen: „Er orientiert sich nämlich nicht mit seinen schwachen, zum Bildsehen kaum geeigneten Augen, sondern mit Hilfe langer, gerader Tasthaare, die beim erwachsenen Tiere in 12facher Zahl auf den Scherenfingern sitzen und infolge ihrer beweglichen Einlenkung in großen Bechern sogar auf die geringste Luftbewegung ansprechen, so dass sie mit gewissem Recht auch als Hörhaare bezeichnet werden.“ Ich kann mit meinen Videoaufnahmen bestätigen, dass sie ihre Fangarme zum „sehen“ nutzen. Besonders deutlich wird es, wenn sie sich mit ihrem Körper in einem Spalt befinden und ihre Fangarme ähnlich wie Sehrohre bei U-Booten nutzen (siehe unten). Bevor sie einen Spalt verlassen strecken sie einen Fangarm in den Raum und „sehen sich um“ (siehe Abb. 7).
Weiter beschreibt er wie der Bücherskorpion seine Opfer betäubt, sie mit seinen Kieferscheren am Mund ansticht und Magensaft in die Wunde fließen lässt. Die durch den Magensaft verflüssigten Fleischteile schlürft er dann auf und verzehrt sie. In der folgenden Bilderserie habe ich diese von Max Beier bereits 1951 beschriebene Beobachtung unter dem Mikroskop festgehalten.
Die in dem Artikel beschriebene Phoresie konnte ich leider bislang nicht beobachten. Beier schreibt, dass sich besonders zur Schwarmzeit Bücherskorpione finden lassen, die sich mit ihren Palpenscheren an einem Bein oder einem anderen Körperteil der Biene angeklammert festhalten und sich so im Flug mittragen lassen. Ausgelöst wird dieses Verhalten – eine Art Wandertrieb – durch die entstehende Unruhe im Bienenvolk kurz vor dem Schwärmen. Laut Beier sind es immer trächtige Weibchen, die solcherart als Flugpassagiere angetroffen werden und auf diese Weise für die Ausbreitung der Art sorgen.
Beier beschreibt in seinem Artikel noch die Eiablage der trächtigen Weibchen von bis zu 20 Eiern, den Bau der Brut- und Häutungsnester, das Ausschlüpfen und die Entwicklung der Jungtiere. Zum Schluss widmet er sich den auf der Südhalbkugel in Bienenstöcken vorkommenden Ellingsenius Arten, denen er eine bedeutendere Rolle als Ungeziefervertilger und Gesundheitspolizei im Bienenstock beimisst als den bei uns heimischen Bücherskorpionen.
Dr. Peter Weygold: „Moos- und Bücherskorpione“, Neue Brehm Bücherei Wittenberg, 1966
1966 erscheint das Buch „Moos- und Bücherskorpione“ von Dr. Peter Weygold. Es ist bis heute die umfangreichste Beschreibung dieser kleinen Scherenträger in deutscher Sprache. Leider betrachtet er nicht weiter das Leben der Bücherskorpione in Bienenbeuten und erwähnt diesen Zusammenhang nur am Rande.
Barry Donovan & Flora Paul: „Pseudoscorpions: the forgotten beneficials inside beehives and their potential for management for control of varroa and other arthropod pests„, Bee World, Ausgabe 86, 2005
2005 erscheint in einer Bee World Ausgabe der Artikel: „Pseudoscorpions: the forgotten beneficials inside beehives and their potential for management for control of varroa and other arthropod pests“. Thematisiert wird die Frage ob der in Europa in Vergessenheit geratene Chelifer cancroides (der Bücherskorpion) und andere ihm verwandte Pseudoskorpione weltweit zur Bekämpfung von Varroamilben und anderen Parasiten taugen. Laut den Autoren ist der Bücherskorpion in Europa in Vergessenheit geraten, weil er in den modernen Beutensystemen kaum noch angetroffen wurde. Die Ursache hierfür vermuten sie in der Verdrängung der Klotzbeuten und Strohkörbe durch Magazinbeuten mit ihren beweglichen Rähmchen, hergestellt aus glatt gesägtem Holz. Nach dem Aufkommen der Varroamilbe in Europa dürfte die chemische Behandlung in den Bienenbeuten die Bücherskorpione endgültig aus den Bienenstöcken vertrieben haben. Die Autoren vermuten, dass sich zumindest einige Arten von Pseudoskorpionen als wirksame Kontrolleure von Varroa und anderer Schädlinge von Honigbienen erweisen könnten, wenn sie in ausreichender Anzahl in Bienenstöcken vorhanden sind.
Torben Schiffer: „Biologische Untersuchungen an mit Honigbienen assoziierten Pseudoskorpionen (Chelifer cancroides)“, Staatsexamensarbeit im Fach Biologie, 2008, Universität Hamburg
2008 greift Torben Schiffer das Thema in seiner Staatsexamensarbeit auf. In der Arbeit gibt er weitestgehend die Erkenntnisse/Ansichten von Donovan & Paul wieder. Mit seinem Engagement und seiner Medienpräsenz verhilft er den Scherenträgern zu einer großen Aufmerksamkeit.
Ron van Toor et al.: „Ingestion of Varroa destructor by pseudoscorpions in honey bee hives confirmed by PCR analysis„, Journal of Apicultural Research 54(5):1-8, 2016
Ron van Toor belegt 2016 mittels DNA Analysen den Verzehr von Varroamilben in herkömmlichen Magazinbeuten durch Bücherskorpione. Die verzehrten Milben könnten allerdings auf natürliche Weise gefallen sein und bereits dem Vermehrungszyklus entzogen worden sein. Es ist somit kein Beleg für eine Wirksamkeit der Bücherskorpione in Sachen Varroabekämpfung.
Hans-Jürgen Ratsch et al.: „Bücherskorpione als Varroabekämpfer„, Endbericht zum Forschungsprojekt der Integrierten Gesamtschule List und der Schülerfirma Imkerei e.G., 2018
Hoffnung auf eine Wirksamkeit der Bücherskorpione macht die Versuchsreihe „Bücherskorpione als Varroabekämpfer“ von 2018. Hier wird ein geringerer natürlicher Milbenfall in Holzbeuten mit Bücherskorpionen gegenüber Holzbeuten ohne Bücherskorpione festgestellt. Die Autoren sehen darin den Nachweis einer Wirksamkeit der Bücherskorpione. Das sehe ich nicht so. Der Milbenfall wurde nur wöchentlich ausgezählt, dies birgt folgende mögliche Verfälschung: Da die Bücherskorpione sich mit Vorliebe am Boden der Beuten aufhalten, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie noch lebende Milben vom Brett entnommen haben, die ohne ihr Eingreifen später als toter natürlicher Milbenfall gezählt worden wären. Es werden also weniger Milben gezählt als tatsächlich gefallen sind. Solche lebend (teilweise verletzt) auf das Brett fallende Milben sind bereits dem Vermehrungszyklus der Varroa im Bienenvolk entzogen, ihre Beseitigung durch den Bücherskorpion bringt keinen Nutzen bezüglich der Varroabekämpfung. Um diese Verfälschung auszuschließen müsste man die Kontrollbretter wesentlich häufiger kontrollieren, vielleicht sogar mehrfach täglich. Ein deutlicheres Indiz für die Wirksamkeit der Bücherskorpione ist die festgestellte geringere Sterblichkeit der Völker mit Bücherskorpionen. Die untersuchte Anzahl an Völkern ist allerdings zu gering, um eine Wirksamkeit der Bücherskorpione zu belegen.
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